Gemeindebau in der Brüdergemeine

Eine Woche Gemeindebau – auf dem Weg zur Sprachfähigkeit

Vom 21.2.-27.2.2011 trafen sich ca. 20 Studierende theologischer Disziplinen im Rüstzeitenheim Sonnenschein in Ebersdorf zum jährlichen theologischen Studienseminar der Brüder-Unität. Das Thema der Woche: Gemeindebau. Nach theoretischen Inputs von Dienstag bis Donnerstag sollte die Arbeitswoche mit einer  Werkstatt von Freitag bis Samstagmorgen enden. In dieser sollte in Gruppen diskutiert werden, wie die Herrnhuter Brüdergemeine in Zukunft Gemeinde bauen soll, könnte, möchte. Dieser Blogeintrag ist für mich der Abschluss einer Vertiefung in das Thema Gemeindebau, welches mich die letzten Monate intensiv beschäftigt hat. Dieser Artikel ist eine Zusammenfassung der Woche, wie ich sie erlebt habe, er ist auch nicht ausgereift oder vollständig, sondern hat primär folgende Ziele:

  • er soll den Teilnehmern des Studienseminars als Quelle der Erinnerung dienen
  • er soll zum kritischen Nachdenken anregen
  • er soll einem erweiterten Kreis von Interessierten am Thema Gemeindebau zur Verfügung stehen
  • und er soll daran erinnern, wie wichtig Gemeindebau für uns alle ist.

Ich habe zig Bücher gelesen, mich mit ehemaligen Studienkollegen ausgetauscht, und in der kirchlichen Basis nachgefragt. Dabei musste ich ständig meine alten Denkmuster zum Thema überdenken, über Bord werfen, neue Ideen angeln, Inseln ansteuern und untergehen lassen. Aber der Reihe nach.

Gemeindebaumodelle, Gemeindebaukonzepte – und: Wir haben zu wenig Zeit!

Die thematische Woche wurde am Dienstag mit einem Einstiegsreferat über verschiedene Gemeindebaumodelle eröffnet. Dabei wurde darauf geachtet, die Teilnehmer nicht gleich mit fulminanten Gemeindebaukonzepten zu überfordern, um erst einmal Raum für Diskussion anhand von einfachen Gemeindeformen zu schaffen. Wir haben uns darüber ausgetauscht, was es bedeutet, wenn Gemeinden exklusiv von Gemeinhelfer, Pfarrern, Pastoren geführt werden, wie das bei Pastorengemeinden der Fall ist. Besser gefallen hat uns dann bereits die Mitarbeitergemeinde, in der die Gemeindemitglieder ihren Gaben entsprechenden eingesetzt und gefördert werden. Die Zellengemeinde fand dann fast noch besseren Anklang, da uns bewusst wurde, dass Gemeindewachstum auch mit einer Art natürlichen Zellteilung zu tun hat. Womit wir weniger anfangen konnten, war das dezentral geleitete Hauskirchenmodell, in dem die Gemeinschaft ziemlich aussen vor bleibt.

http://bruedergemeine.net/RZS/index.html

Bereits anhand dieser kurzen Einheit wurde klar: Wir müssen uns während der Woche immer wieder grundsätzlich über die Gestaltung des Gemeinhelferamts (Bezeichnung für Pfarramt in der Brüdergemeine) austauschen. Anschliessend haben wir uns eine Zusammenstellung von Gemeindebaukonzepten seit 1945 angeschaut. Dabei wurde klar, dass wir alle eigentlich sehr wenig über das Thema Gemeindebau wissen, weil es in den meisten Studiengängen – mit wenigen Ausnahmen – kein prioritäres Thema zu sein scheint.

Konzepte und Patentrezepte

Der Plan war, wenige Gemeindebaukonzepte vorzustellen, mangels Zeit blieb es dann aber bei einem. Vorgesehen waren die Konzepte von

kurz vorzustellen und anschliessend zu diskutieren. Für Willow Creek reichte die Zeit noch knapp. Hier tat sich ein Problemfeld auf: Das Thema Gemeindebau ist an sich schon sehr komplex, aber auch ein einzelnes Konzept würde mindestens drei Tage des Nachdenkens benötigen, um es abschliessend bewerten zu können. Also blieb es bei der Auseinandersetzung mit Willow Creeks 7-Punkte-Strategie. Hier ist es noch einmal wiedergegeben:

1.       Christen bauen eine aufrichtige Freundschaft zu einem Nichtchristen auf. (Lukas 7,34)
2.       Christen erzählen anderen von ihrem Leben mit Gott. (1.Petrus 3,15)
3.       Christen laden ihre kirchendistanzierten Freunde zu einem speziell für sie gestalteten Gottesdienst ein. (Römer 10,14-15)
4.       Kirchendistanzierte Menschen entscheiden sich für Christus und nehmen regelmäßig am Gemeindegottesdienst teil. (Kolosser. 3,16)
5.       Mitgliedschaft in einer Kleingruppe (Johannes 13,34-35)
6.       Entdeckung, Entwicklung und Anwendung der geistlichen Gaben (Römer 12,4-5)
7.       Neuer Umgang mit Finanzen, Ressourcen und Zeit (2.Korinter 8,7)

Bereits Punkt 1 bot Diskussionsbedarf. Die Betonung auf aufrichtiger Freundschaft befremdete uns ein wenig, gibt es denn auch unaufrichtige Freundschaft? Und ist es legitim eine Freundschaft aufzubauen, die einen ganz bestimmten Zweck verfolgt? Interessant war zu beobachten, wie die Diskussion von anfänglicher grundlegender Skepsis, sich doch noch dahin bewegte, dass wir fanden, dass man in diesen 7 Punkten doch durchaus auch Positives finden könne.

Postmoderne und Evangelium

Hans Strub vom Zentrum für Kirchenentwicklung (ZKE) der theologischen Fakultät der Universität Zürich (CH) stellte dann die Gemeinde Christi  in den Zusammenhang mit der postmodernen Welt; was für Herausforderungen sich daraus entwickeln und welche Problemfelder sich dabei auftun.

Die Ämter-Ordnung in Alt-Herrnhut – überraschend aktuell

Grundlage für das Referat über die Ämter-Ordnung Alt Herrnhuts war das 1966 erschienene Buch von Hanns-Joachim Wollstadt, Geordnetes Dienen in der christlichen Gemeinde (Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht). Im Vortrag wurde nur auf die wichtigsten Ämter eingegangen, da auch hier die Zeit fehlte um dieses Feld abschliessend zu bearbeiten. Vorgestellt wurden folgende Ämter:

Aemterordnung in Alt-Herrnhut

Aemterordnung in Alt-Herrnhut

Die Herrnhuter Brüdergemeine hat von Anfang an auf die Beteiligung von Laien, Männer wie Frauen, gesetzt um so das Priestertum aller Gläubigen zu praktizieren und nicht bloss irgendwo niederzuschreiben und nur davon zu reden. Neue Gemeinen wurden von Anfang an durchstrukturiert und die nötigen Ämter innerhalb der Gemeine wurden eingerichtet. Wollstadt meint dazu (:17):

In das lebendige Gemeinschaftsleben mit seinen vielfachen gottesdienstlichen Formen war eine vorbildliche diakonische Ordnung eingebettet, in der kein Glied übersehen wurde und keiner ohne Dienstauftrag blieb. Es waren Laien, die sich zur Bruderschaft zusammenschlossen und die ihr Leben nach biblischen Massstäben gestalten wollten.

Die biblische Grundlage, auf der die Ämterordnung gebaut wurde, war Römer 12, 7-8:

Ist jemand ein Amt gegeben, so diene er. Ist jemand Lehre gegeben, so lehre er. Ist jemand Ermahnung gegeben, so ermahne er. Gibt jemand, so gebe er mit lauterem Sinn. Steht jemand der Gemeinde vor, so sei er sorgfältig. Übt jemand Barmherzigkeit, so tue er’s gern.

Die erste Ämterordnung von 1725 gestaltete sich so:

  • Weissagen
  • Diakonie
  • Lehre
  • Ermahnen
  • Austheilen und Fürsorgen
  • Fürstehen und Achtgeben
  • Ausüben allerlei Liebes Wercke, sonderlich der beschwerlichen und gehässigen

Alle Ämter wurden auch immer von Schwestern besetzt, ausser dem Amt des Gemeindearztes, das war exklusiv immer ein Bruder.

Älteste

Interessant war festzustellen, dass dem damaligen Ältestenamt eine grosse Bedeutung zukam, es war ein eigentliches geistliches Leitungsamt, wie es mir  bis jetzt in der Brüdergemeine noch nicht begegnet ist – aber das wird ja vielleicht noch.

Helfer

Durch den allgemein gehaltenen Namen dieses Amtes entwickelte es sich in den Jahren zwischen 1728-1738 manchmal etwas individuell, manchmal sogar auf den jeweiligen Amtsinhaber zugeschnitten. Die Bezeichnung „Helfer“ stammt vermutlich aus 1. Kor. 12,28:

Und Gott hat in der Gemeinde eingesetzt erstens Apostel, zweitens Propheten, drittens Lehrer, dann Wundertäter, dann Gaben, gesund zu machen, zu helfen, zu leiten und mancherlei Zungenrede.

Das Helferamt war zwar dem Ältestenamt unterstellt, dies bedeutete allerdings nicht, dass die Helfer den Ältesten „zu Hilfe“ kamen, sondern dieses Amt war in erster Linie als Seelsorgedienst am Einzelmitglied der Gemeine gedacht. Amtsträger sollten folgende Charakteristika aufweisen:

Zu Helfern sind solche genommen, die ein tiefes Einsehen und Nachdencken haben in allen Sachen, die alles durchsehen und prüfen können, und die in einer rechten Bruder- und gemeinen Liebe stehen. (Beschriebener Druck, Seite 18 zitiert in Wollstadt:1966:158)

Die Aufgaben der Helfer waren folgendermassen umrissen:

Zu hölfern wurden solche genommen, die ein aufgewecktes gemüthe u. einen auf geschloßenen verstand, auch einen rechten Plann, u. Zusammenhang von der haußhaltung Gottes u. gemeinschaft am Evangelio haben. Ihr ambt u. beruf ist umb alles in der gemeine sich zu bekümmern, alles zu untersuchen, außzumachen u. anzuordnen, u wo in etwas ihre Einsicht als hinlänglich ist, die ältesten umb rath zu fragen, u. bey dero außspruch eß bleiben zu laßen unter den ältesten. (Reichel zitiert in Wollstadt:1966:159)

Die Ältesten hielten wöchentliche Sitzungen ab, in diese war jeweils ein Vertreter der Helfer delegiert (Mit-Ältester). (:159) Aus diesem ursprünglichen Helfer-Amt entwickelte sich das heutige Gemein-Helfer-Amt in der Herrnhuter Brüdergemeine, also das eigentliche „Pfarramt“ der Gemeinde.

Zinzendorfs Stellung innerhalb der Ämterordnung

Nun doch noch ein paar Worte zur Stellung des Grafen innerhalb der Gemeine. Er hatte sich stets mit seinen Gaben in die Gemein- und Ämterordnung eingefügt. Er wechselte oft die Ämter und deren Titel. Die Ordnungen wurden meist von ihm selber entworfen. Er gab sich wie selbstverständlich in diese Ordnungen ein. Er konnte ebenso wie alle anderen Geschwister an seine Pflichten erinnert oder gemahnt werden. Sein Verhalten zeigt deutlich auf, dass er all sein Tun als Dienst im Reich Gottes sah. Zinzendorf sah sich als ersten dienenden Bruder für die Gemeine, da er sich unter seinen Herrn demütigen konnte, konnte er es auch unter die Brüder (:165). 1730 gab Zinzendorf sein Ältestenamt ab und übernahm ein Helferamt, wodurch dieses Amt wohl auch an Bedeutung gewann.

Aufseher

Der Aufseher war für das Sehen, für das Aufdecken eines Missstandes zuständig, während der Ermahner im Auftrag des Aufsehers die Aufgabe hatte, in brüderlicher Liebe das Fehlerhafte zu rügen. Diese beiden Ämter bestanden ca. 1727-1731, später wurden sie abgeschafft, da die Einführung der Chorordung diese erübrigte. Man ging davon aus, dass dieses Amt jede Schwester und jeder Bruder in Liebe ausführen könne (:179). 1738 wurden die beiden Ämter offenbar wieder eingesetzt, da sogar John Wesley bei einem Besuch in Herrnhut diese bemerkte und danach von 11 Overseers or Censors (Aufsehern) und 11 Monitors (Ermahnern) zu berichten wusste (:180). Folgende Eigenschaften sollte ein Ermahner – oder eine Ermahnerin – aufweisen:

1.       hertzliches Gebet, daß einem Gott die Gabe der Unterscheidung gebe.
2.       Einige Erkenntniß der Temperamenten d.i. wozu ein Mensch am meisten geneigt sey, als Ehr-Geitz, Geld-Geitz, Wollust p.
3.       hertzliche Liebe, und Freyheit von Argwohn (der aber doch gemeinigl. eines Aufsehers natürl. Fehler ist u. wenn er geheiligt wird, zur Gabe wird)
4.       Großer Ernst im Christenthum und doch Freyheit vom Gesetz, und daß man wiße, was die Heiligung, freywilliger Gehorsahm und Zwang auf sich habe.
5.       Erfahrung, was dem Reiche Christi hinderlich und förderlich (draußen aber erbaulich oder anstößig) sey.
6.       Grosse Verschwiegenheit (sonderlich der angemerkten Mängel vor allen Gliedern der Gemeine, die es nichts angeht).
7.       Ein sehr ehrbarer Wandel  (Wollstadt:1966:180-181)

Ermahner

Die Ermahner sollten über diese Eigenschaften verfügen:

1.       einer Sanfmüthigen Art seyn oder durch die Gnade werden
2.       deutlich und vernehmlich von einer Sache, die er eigentlich inne hat, sprechen
3.       nicht auf eigne Erfahrung, sondern auf sagen und hören ermahnen
4.       keine Bitterkeit gegen Personen haben
5.       ohne alle Herrschaft oder äusserl. Erhebungen handeln, und nur bitten
6.       so viel möglich, und wo es nicht ohnfehlbar darzuthun, bedingungs weyse ermahnen: weñs so oder so wäre
7.       Um Weisheit bitten, und mit dem Aufseher und Lehrer fleißig reden, alles aber selbst prüfen (Reichel zitiert in Wollstadt:1966:182)

Soweit über die verschiedenen Ämter, ich habe hier nur ein paar wenige herausgepickt. Über die anderen interessanten Ämter schreibe ich lieber später mal separate Blog-Einträge, sonst wird es hier zu episch. Wer noch mehr Informationen über die Ämterordnung haben möchte, kann sich einfach mit mir in Verbindung setzen, ich gebe gerne Auskunft.

Was mich an dieser Einheit völlig überrascht hatte, war die Tatsache, dass sich der Grund-Tenor während der Diskussion im Plenum gegenüber der Ämterordnung positiv äusserte. Ich hatte befürchtet, dass das Thema so trocken und langweilig wirken könnte, dass die ganze Truppe bereits beim Ältestenamt einnicken würde. Aber weit gefehlt, am Ende diskutierten wir nur noch, wie wir denn die Ämterordnung Alt-Herrnhuts auf unsere postmoderne Umgebung übertragen könnten. Für mich war das wirklich eine Überraschung. Ich denke, dass sich hier auch ein Stückweit ein „Erbe“ unserer Kirche sichtbar wird, in der das geordnete Dienen immer eine wichtige Rolle gespielt hat und auch noch spielt.

Bibelarbeiten

Während des Studienseminars haben wir fünf Bibelarbeiten zu Texten zum Thema Gemeindebau bearbeitet:

  • Apg 2,44-47
  • Mt 28,16-20
  • Die Charismenkataloge: Röm 12,7f; 1Kor 12,8-10.28-30;13,1-3; Eph 4,11f; 1Petr 4,10f
  • 1 Petr 2,4-10
  • Mt 5,13-16

Gaben – Geschenke Gottes für den Gemeindebau

Noch ein paar Worte zu den Gaben, den Charismen. Dieses Thema hat uns auch die ganze Woche immer wieder beschäftigt, sei es in einer Bibelarbeit oder in der persönlichen Auseinandersetzung jenseits der thematischen Einheiten: Spätabends, auf dem Sofa bei einem gärenden Getränk.

In jeder Gemeinde gibt es eine Fülle von Charismen (Gnaden-Gaben), die es bei Menschen zu entdecken gibt. Das Grund-Charisma Gottes finden wir in Röm 6,23:

Denn der Sünde Sold ist der Tod; die Gabe Gottes aber ist das ewige Leben in Christus Jesus, unserm Herrn.

Also das Ewige Leben in Jesus Christus. Im Neuen Testament können wir nachlesen, dass es keine Christen gibt, die nicht wenigstens ein Charisma haben: Röm 12,3; 1Kor 12,7 u. 11. Im NT finden wir Gaben, die die Gemeindeleitung betreffen, Gaben der Verkündigung, der Seelsorge und auch der Diakonie. Keine dieser Gaben steht über der anderen, in der Heiligen Schrift suchen wir vergeblich nach einer Hierarchie. In meiner persönlichen Umgebung nehme ich das ganz anders wahr. Da steht alles, was mit Verkündigung zu tun hat, schon im vornherein auf einem Sockel. Die Gabenkataloge im NT (Röm 12,7f; 1Kor 12,8-10.28-30;13,1-3; Eph 4,11f; 1Petr 4,10f) sind Auflistungen, die nicht abgeschlossen sind. Wären sie das, wären sie auch alle gleich. Dies bedeutet, dass Gott prinzipiell alles, was sich in einer Gemeinde als Befähigung zeigt, auch zu einem Charisma machen kann. Dazu braucht es zwei Voraussetzungen, erstens darf eine Gabe nicht zur Selbstverherrlichung eingesetzt werden, sondern alleine zur Ehre Gottes (1Petr 4,11) und andererseits wird sie es dann, wenn der Herr die Gabe zum Aufbau, zum Zeugnis der Gemeinde in seinen Dienst nimmt (1Kor 14,12,23 u. 26; Eph 4,12 ). Gott kann also jederzeit – auch heute – postmoderne Gaben schenken, die wir in der Bibel nicht finden und diese zum Bau seiner Gemeinde benutzen. Wir können davon ausgehen und darauf vertrauen, dass Gott uns die benötigten Gaben zum Bau an seiner Gemeinde schenkt.

Es liegt an uns, unsere Gaben auch wertzuschätzen, sie als Geschenk zu betrachten, wovon wir auch gerne weitergeben. Die vielen Gaben in einer Gemeinde sollten wir nicht als Konkurrenz wahrnehmen, sondern als Ergänzung. Ich muss auch nicht alle Gaben haben, es reicht, wenn ich eine habe, diese sollte ich aber auch zu schätzen wissen und nach Möglichkeit in die Gemeinde einbringen. Wir sollten uns an den Gaben der anderen freuen.

Pastor Überall  amtiert auch in der Brüdergemeine – ein Berufsbild, reformationsreif

Wie aber entdecken wir denn nun diese Gaben? Mit dieser Frage lastet eine grosse Verantwortung auf den Gemeinhelfern, Pfarrern, Pastoren sowohl in der Brüdergemeine, wie auch in jeder anderen Kirchen. Während des Studienseminars haben wir einige Male über die fiktive Person des Pastors Überall geschmunzelt, manchmal auch ziemlich laut darüber gelacht. Dieser Super-Pfarrer macht alles selber in der Gemeinde und verzichtet auf jegliche Beteiligung der Gemeindeglieder bei der Gestaltung des Gemeindelebens. Im Verlauf der Jahre hat er so die Kirche leergepredigt, weil er in seinen Predigten zu viele Fragen beantwortete, die nie jemand gestellt hatte. Er hängt die Aushänge selber in den Schaukasten, er ist der Bläserchor und er spielt auch noch zusätzlich die Orgel im Gottesdienst, wenn der Organist krankheitshalber ausfällt. Nicht zu vergessen, dass er den Umbau im Gemeindehaus in zähen Nachtschichten auch noch gleich selber erledigt, zusammen mit seiner asthmakranken Frau.

So lustig es ist, so traurig ist es auch, denn Ähnlichkeiten mit realen Persönlichkeiten sind durchaus vorhanden. Vielleicht nicht in dem Ausmass, aber die Tendenz dazu kennen wir doch alle.

Ich denke, wir müssen lernen, dass auch Gemeinhelfer, Pfarrer, Pastoren (auch Frauen sind hier natürlich mitgemeint) nicht alle Gaben in sich vereinigen, die nötig sind um eine Gemeinde zu leiten (Muss die überhaupt von einer Person alleine geleitet werden?). Oder kennt jemand, einen oder eine, die gleichzeitig Apostel, Prophet, Evangelist, Hirte und Lehrer ist (Eph 4)?Der Gemeinhelfer sollte doch vor allem die Gabe haben, Gaben in anderen Menschen zu entdecken und – ganz wichtig – zu fördern. Zu motivieren. Dies bedeutet, dass man sich ganz intensiv mit dem vorhandenen Potential in der Gemeinde auseinandersetzt. Das ist nichts, was man von heute auf Morgen machen kann, es ist ein fortlaufender Prozess, der sich durch die ganze Amtszeit hindurchzieht und wird nie abgeschlossen sein. Klingt nach Knochenarbeit? Ja, ist es. Und der stärkste Knochen, der geschmeidig gemacht werden muss, ist man selber. Denn Gaben anderer zu entdecken und zu fördern heisst auch immer: Ich gebe etwas von meinen Aufgaben ab. Ich gebe etwas von meiner Verantwortung ab. Ich gebe etwas von meiner Macht ab.

Gaben sind Geschenke Gottes, sie sind keine Belohnungen für besonders gelungene christliche Lebensführungen. Was die vornehmste Aufgabe eines Gemeinhelfers, eines Pfarrers, eines Pastors, ist, können wir doch eigentlich in der Heiligen Schrift nachlesen:

…,damit die Heiligen zugerüstet werden zum Werk des Dienstes. Dadurch soll der Leib Christi erbaut werden,… (Eph 4,12)

Es geht nicht nur um unsere ausgefeilten Predigten am Sonntagmorgen, es geht darum dass wir alle gemeinsam an der Gemeinde, am Leib Christi bauen. Und dies alleine zur Ehre unseres Herrn Jesus Christus. Ich habe das Thema rund um das Berufsbild hier nur einfach mal angeschnitten, ohne Anspruch darauf, dieses fertig gedacht oder diskutiert zu haben. Während des Studienseminars ist es mir einfach wieder einmal klar geworden: Unser Berufsbild ist wirklich reformationsreif.

Visionen entwickeln – in der Werkstatt des Herrn

Auch so ein Begriff, der uns durch die Woche begleitet hat: Visionen in der Gemeinde, für die Gemeinde entwickeln. Wir haben uns am Freitag den ganzen Tag Zeit genommen, um an Visionen für den Gemeindebau in Brüdergemeine zu arbeiten. In drei Gruppen mit unterschiedlicher Ausgangslage haben wir an einem Konzept für Gemeindebau der Brüdergemeine für die Zukunft gearbeitet:

  • Gruppe 1 Basis: Grund der Unität
  • Gruppe 2 Basis: Ämterordnung Alt-Herrnhuts (wie modifizieren/erweitern im 21. Jh.?)
  • Gruppe 3 Basis: Charismen nach Römer 21, 1. Kor 12, Eph 4

Dazu gab es Leitplanken fürs Arbeiten in der Gruppe:

1.       Ist-Analyse (Wie stellt sich die Situation der BG in Deutschland/einer konkreten Ortsgemeinde/einer fiktiven Gemeinde heute dar?)
2.       Bedürfnis-Analyse (Welche Bedürfnisse von postmodernen Menschen sind zu befriedigen?)
3.       Formulierung eines Ziels für die Gemeinde in den nächsten Jahren/Jahrzehnten
4.       Konkrete Schritte zur Umsetzung unter Berücksichtigung der inneren und äußeren Aspekte des Gemeindebaus überlegen (Zeithorizont einer kurz-, mittel- und langfristigen Planung)

Innerhalb des Konzepts sollte die Gemeindeform festlegt werden (Ortsgemeinde, Bereichsgemeinde, bestehend, neu…). Dabei sollte auf das Berufsbild des Gemeinhelfers geachtet werden, zwischen Pastor Überall und Pfarrer Nieda. Zusätzlich wurde noch die Lektüre von zwei Artikeln zum Thema Missionaler Gemeindebau empfohlen.

Die Ergebnisse kann ich hier unmöglich alle wiedergeben, denn dies würde den Rahmen eines Blogeintrags sprengen. Wobei der Rahmen sowieso bereits gesprengt ist…

Ich komme also lieber noch auf meine Erkenntnis der Woche zu sprechen:

Sprachfähig werden

In diese Woche des Studienseminars bin ich mit einer für mich persönlich ganz wichtigen Erkenntnis aus den letzten Monaten gegangen. Diese Erkenntnis habe ich einerseits aufgrund meiner langjährigen Berufserfahrung im kirchlichen Dienst gewonnen, andererseits bei der intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema Gemeindebau in den letzten Monaten sowie aus vielen Gesprächen in unserer Gemeinde, der sogenannten Basis. Diese Erkenntnis lautet schlicht und einfach:

Wir müssen sprachfähig werden.

Nach dem Studienseminar nehme ich diese Erkenntnis wieder mit, allerdings formuliert in die Frage nach dem Wie?.

Wir können schwerlich Gemeinde bauen, wenn wir nicht über unseren Glauben reden können, wenn wir nicht über unseren eigenen Weg mit Gott berichten können, wenn wir nicht weitersagen können, was er für uns persönlich bedeutet, wenn wir nicht zusammen beten können.

Mal angenommen, es kommt tatsächlich jemand Neues in die Gemeinde. Vielleicht einer oder eine, die oder der bis anhin noch nichts bis fast nichts mit Glauben am Hut hatten. Oder eine, die ganz frisch zum Glauben gekommen ist. Also mal angenommen, so jemand setzt sich bei uns in die Bankreihe. Die kommt auch nicht allein, im Gepäck hat sie ganz viele Fragen. Fragen, die sie dem Nachbarn in der Bank stellt. Und wenn dieser stumm ist wie ein Fisch, weil er selber vielleicht dieselben Fragen seit Jahren in seinem Rucksack mitschleppt, dann wird sich diese neue Besucherin schnell wieder aus den leeren Bänken unserer Wohnstube verabschieden.

Es sollte unser aller Wunsch und Wille sein, die Gemeinde sprachfähig zu machen. Oder: wieder sprachfähig zu machen. Ich habe manchmal den Eindruck, dass die Sprachfähigkeit der Geschwister in den letzten Jahrzehnten irgendwo verloren gegangen ist. Woran das liegt, darüber möchte ich mich hier nicht ereifern. Das ist auch keine Exklusivität der Brüdergemeine, das geht anderen Kirchen genauso. Wichtig ist, dass wir erkennen, dass uns die Sprache fehlt. Dann können wir anfangen zu erklären und dann können wir anfangen Räume zu schaffen. Sprachlabors. Das können Bibelabende, Hauskreise, Schulung von begabten Mitarbeitern sein. Was immer dazu dient, um an der Gemeinde Jesu weiterzubauen. Erst wenn wir wieder sprachfähig sind, können wir als Gemeinde, als Kirche in die Breite wachsen. Aber erst einmal gilt es, in die Tiefe zu wachsen.

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